Zeitkonzepte jenseits von Fortschritt
Politische Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Kindheit und darüber hinaus
In der politischen Bildung für nachhaltige Entwicklung dominieren oft Methoden, die auf Mündigkeit und rationales Denken setzen. Grundlage ist meist die sprachlich strukturierte Welt und die implizite Vorstellung, der Mensch könne die Natur beherrschen. Aber reicht dieser Ansatz? Wenn Nachhaltigkeitsbildung inklusiv sein soll und auch junge Menschen miteinbeziehen will, muss sie mehr bieten: ein Verständnis von Zeit und Entwicklung jenseits von Fortschritt, das nicht nur den Verstand, sondern auch die sinnlich-emotionalen Aspekte von Mensch und Planet berücksichtigt.
„Beste Bildung von Anfang an“ lautet eine Devise des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Dennoch werden jungen Kindern oft „entsprechende Rechte auf politische Bildung vorenthalten“ (Lüders 2021: 6). Vielleicht ist es dann auch nicht verwunderlich, wenn in frühpädagogischen Ausbildungen Nachhaltigkeitsbildung unterrepräsentiert ist (vgl. Singer-Brodowski/Holst 2022: 1). Dieser Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit soll hier nachgegangen werden.
Politische Bildung für nachhaltige Entwicklung – der mündige Mensch im Zentrum der Zukunftsfähigkeit
Politische Bildung verfolgt – so das Bundesministerium des Inneren und für Heimat – u. a. das Ziel, Bürger*innen Kompetenzen zu vermitteln, um verantwortungsvolle Entscheidungen treffen zu können (vgl. BMI Bund, o. J.). Dabei gehe es darum, „die eigene Situation zu reflektieren“ und das „Bewusstsein für Demokratie und politische Partizipation“ (ebd., Hervh. S. M.) zu stärken. Die Begriffe Kompetenzen, reflektieren, Bewusstsein scheinen somit für das Verständnis von politischer Bildung von Belang. Wenn politische Bildung aus einer Generationenverantwortung heraus auch die langfristigen Folgen gegenwärtiger Entscheidungen mitberücksichtigen will, kann sie im Kontext der Nachhaltigkeitsbildung verortet werden. Zwischen beiden Bereichen – der politischen Bildung und der Bildung für nachhaltige Entwicklung – erkennt die Deutsche Bundesstiftung Umwelt Parallelen: „Sowohl die Bildung für nachhaltige Entwicklung als auch die Politische Bildung setzen ein hohes Maß an Beteiligung und forschendem Lernen voraus. Beide Ansätze sind geprägt von Selbstreflexion, Perspektivwechsel, vernetztem und systemischem Denken und somit von einer Kompetenzentwicklung hin zu einer mündigen und zukunftsfähigen Gesellschaft.“ (DBU, o. J., Hervh. S. M.)
In diesen Definitionen werden Kompetenz, Denken, Reflexionsfähigkeit und Mündigkeit als zentrale Aspekte hervorgehoben. Diese Gewichtung ist hier relevant, könnte sie doch erklären, warum Bildung für nachhaltige Entwicklung in frühpädagogischen Studiengängen wenig vertreten ist (vgl. Singer-Brodowski/Holst 2022: 1): Konzepte der Nachhaltigkeitsbildung scheinen meist auf einem…
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Die Autorin
Dr. Serafina Morrin ist Professorin
für inklusive Bildung in der Kindheit an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin. Zu ihren Schwerpunkten gehören Kindheitsforschung, Nachhaltigkeitsbildung sowie sprachlich-kulturelle Bildung.