Verkörperungsästhetische Lehr-Lern-Formate

Potenziale für die Demokratiebildung

JOURNAL-Redaktion: Liebe Frau Balkuv, lieber Herr Altner, in Vorbereitung auf das Interview hatten Sie berichtet, dass es in Ihrer Arbeit verschiedene Bezüge zur Demokratiebildung gibt. Daher einleitend die Frage, was Demokratiebildung für Sie bedeutet.

Yelda Balkuv und Nils Altner: Der Ausgangsbefund des vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen beauftragten Projektverbundes „Demokratiefähigkeiten bilden“ war die im Demokratiebericht 2021 getroffene Feststellung einer deutlichen Diskrepanz zwischen dem in der Bevölkerung reichlich vorhandenen Wissen über Demokratie und den im Alltag aber kaum erlebten Erfahrungen mit demokratischen Mitgestaltungsprozessen. Dieses Knowledge-Action Gap, das genauso für die Bildung im Bereich nachhaltiger Entwicklung gilt, möchten wir mit unserem Teilprojekt „FRIDA – Friedensfähigkeit, Innere Demokratie und Achtsamkeit“ helfen zu verkleinern. Dafür entwickeln wir pro-demokratische Lehr-Lern-Formate, -Methoden und -Materialien mit und für Lehrkräfte(n) an Hochschulen und Schulen. Anknüpfend an John Dewey (1916/2011) differenzieren wir dabei Demokratie mit Reiko Hannemann und Kolleg*innen als Herrschaftsprinzip, als Gesellschaftsform und als gelebte Alltagspraxis. In ihrem 2017 erschienen Projektbericht zu demokratiebezogenen Einstellungen in Marzahn-Hellersdorf schreiben sie: „Neben For­derungen an politische Systeme, Verfasstheiten, Diskurse, Praxen, Kulturen, Werte und Einstellungen stellt eine Demokratie auch Anforderungen an das Individuum selbst, genauer: an seine ihm_ihr nicht immer bewusste Persönlichkeitsstruktur, die es befähigt, zum einen als Mitglied des Gemeinwesens eine Demokratie zu beleben und zum anderen in ihr als Subjekt(!) überhaupt erst wirken zu können“ (Hannemann 2017: 34 f.). FRIDA beschäftigt sich mit diesen subjektbezogen verkörperten Haltungen und Verhaltensweisen.

In welchem Verhältnis stehen aus Ihrer Sicht Körper, Ästhetik und Demokratie denn ganz grundsätzlich?

Unser Verständnis für verkörperungsästhetische Aspekte von Demokratiebildung gründet auf der ursprünglichen Bedeutung des griechischen Begriffes aisthesis, der für sinnenbezogene Wahrnehmung und Erkenntnis steht. Wenn wir uns über die Praxis der demokratiefördernden Bildung Gedanken machen, erscheint es uns sinnvoll, zwischen Methoden zu unterscheiden, die Wissen, Gedanken und Konzepte vermitteln und solchen, die durch gelebte Erfahrungen beim Lernen Haltungen bei den Lernenden prägen. Wenn z. B. eine Lehrkraft Kenntnisse zu Demokratie vermittelt, dabei aber autoritär, verletzend und beschämend, also im Widerspruch stehend zum Seminarinhalt agiert (vgl. Prengel 2019b), dann erleben die Lernenden eine körperlich spürbare Dominanz: ihnen stockt vielleicht in Gegenwart dieser Lehrperson der Atem, Stresshormone fließen, Blutdruck,…

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Im Gespräch mit

Nils Altner, Prof. Dr. phil., Bildungs- & Gesundheitswissenschaftler, Lehrgebiet professionelle Selbstfürsorge an der Alice Salomon Hochschule Berlin und Kliniken Essen-Mitte

Yelda Balkuv, M.A., GfK-Expertin, MBSR-Kursleiterin, Projektentwicklerin und -gestalterin bei der Föderation Türkischer Elternvereine in Niedersachsen e.V.

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