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Religion in der säkularen Demokratie – ein Thema der Politischen Bildung?

In der sich heute immer stärker säkularisierenden und zugleich multireligiöser werdenden Gesellschaft ist die Religion in der Politischen Bildung kein Selbstläufer. Stattdessen stehen die einschlägigen Angebote in religiöser Trägerschaft zunehmend unter Legitimationsdruck.

Religion als Thema in der Politischen Bildung zu behandeln, scheint auf den ersten Blick problematisch. Schließlich richten sich die demokratischen Prinzipien der Freiheit, Volkssouveränität, der Mehrheitsentscheidung, Pluralität und des Indi­vidualismus grundsätzlich gegen religiöse Offen­barungs-, Identitätsbildungs- und Wahrheitsansprüche. Demokratie und Religion zeichnen unterschiedliche, tendenziell sogar gegensätzliche Autoritätsverständnisse aus. Andererseits existiert schon seit Langem eine wissenschaftlich seriöse Diskussion darüber, inwieweit die Religion demokratische Werte und Verfahren konstruktiv unterstützen kann, eben weil sie die Perspektiven der Demokratie kompensatorisch ergänzt. Hinzu kommt, dass Religion unverändert ein politisch viel zu sensibler Faktor ist, um sie nicht-demokratischen, fundamentalistischen und extremistischen Kräften zu überlassen.


Mythen der Säkularisierung

Bereits vor 30 Jahren machte der Religionssoziologe José Casanova (1994) auf ein grobes Missverständnis im Kontext der europäischen Säkularisierungsprozesse aufmerksam. Ihm zufolge sei die in modernen Gesellschaften obligatorische Trennung der politischen und säkularen Sphäre (differentiation) weder mit einer unpolitischen, ins Private gedrängten Rolle (privatization) noch mit einem generellen Bedeutungsverlust (decline) der Religion zu verwechseln. Stattdessen sei die Zahl der Beispiele signifikant, bei denen Religions­gemeinschaften einen belegbaren Beitrag zur Konsolidierung der Demokratie leisteten. Casanova nennt diesbezüglich die USA, Brasilien, das postfranquistische Spanien sowie das postkommunistische Polen. Auch in Deutschland ist angesichts der von den christlichen Kirchen in der Nachkriegszeit unternommenen Anstrengungen, die Demokratie gegenüber der Vergangenheit des Nationalsozialismus zu etablieren, die Bilanz der Religion als positiv zu bewerten.

Mit Casanova und anderen gelang es insofern, den Diskurs von der zu simplen, nahezu zum Mythos avancierten These zu lösen, in säkularen demokratischen Gesellschaften müsse die Religion förmlich aus dem politisch-öffentlichen Raum verbannt werden. Vor diesem Hintergrund eröffnet sich eine Perspektive, die die Felder absteckt, in denen Religionsgemeinschaften konstruktiv auf die Demokratie einzuwirken vermögen, ohne im Gegenzug das Gebot der Religionsfreiheit sowie die Realität religiöser Vielfalt zu vernachlässigen. Diesbezüglich ist nicht zuletzt das ursprünglich aus den 1960er Jahren stammende „Böckenförde-Diktum“ in Erinnerung zu rufen. Demnach bleibt gerade der freiheitlich-säkularisierte Staat der Moderne, der sich formal von der Religion emanzipiert hat,…

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Der Autor

Prof. Dr. Oliver Hidalgo ist Lehrstuhlinhaber für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Politische Theorie an der Universität Passau. Seine zentralen Forschungsgebiete sind Politische Ideengeschichte, Demokratietheorie und das Verhältnis von Politik und Religion.