
Rechtsextreme Gegenaufklärung – Wie wir die Demokratie 2025 verteidigen müssen
Oft weiß man es schon, aber manche Dinge müssen einem durch persönliches Erleben vor Augen geführt werden, bevor man sie wirklich versteht. Nach einer Veranstaltung in Südbrandenburg stellte sich mir ein Mann in den Weg, sprach mich an und scherzte über meine Warnung vor den Gefahren durch die hohe Zahl rechtsextremer Stimmen bei den Kommunalwahlen. Erst im Verlauf des Gesprächs wurde mir klar, dass er ein lokaler AfD-Abgeordneter war. Ich fragte ihn, was die AfD jetzt mit ihrer neuen Mehrheit im Kommunalparlament anfangen werde. Seine Antwort war überraschend direkt: nichts. Die AfD habe kein Interesse daran, konstruktiv in den Parlamenten mitzuarbeiten, sagte er. Sie wolle ein anderes Land, eine andere Regierungsform – und keineswegs an der „Verwaltung des Elends“ beteiligt sein. Mit anderen Worten: Sie würden ihre Mehrheit nicht nutzen, um die Lebensrealität der Menschen zu verbessern, sondern um weiter gegen das demokratische System zu arbeiten.
Das ist nichts Neues. Schon 2016 plädierte der heutige parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Enrico Komning, für die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie. 2021 brachte die Fraktion einen Gesetzesentwurf ein, der vermeintlich die Einführung einer direkten Demokratie auf Bundesebene vorsah und in Wahrheit nichts anderes war als der Versuch, die parlamentarische Demokratie durch einen antiliberalen und autoritären Staat zu ersetzen. Vor der Kommunalwahl 2024 forderte dann der Brandenburger AfD-Abgeordnete Lars Hünich direkt die Abschaffung des Parteienstaats.
Das besorgt, nicht nur, weil die AfD als stärkste Partei aus den Kommunalwahlen in Ostdeutschland hervorgegangen ist, sondern auch, weil sie es zunehmend schafft, mit dem Thema Migration die öffentliche Debatte zu dominieren, demokratische Akteure vor sich herzutreiben und die Agenda zu diktieren. Ähnlich wie Donald Trump, der bereits vor seiner Rückkehr ins Amt das politische Klima in den USA prägte, zwingt die AfD hierzulande demokratische Parteien, populistische und autoritäre Politik salonfähig zu machen.
Magdeburg: Terror und die Deutungsmacht der AfD
Besonders bedrückend zeigte sich die Deutungsmacht der AfD nach dem Terroranschlag in Magdeburg. Der islamfeindliche Attentäter, der aus einem mehrheitlich muslimischen Land stammte, war tief verstrickt in die Verschwörungsmythen der US-Rechtsextremen. Doch statt die Zusammenhänge zu analysieren, setzte sich sofort die rassistische Erzählung der AfD durch: Migration sei das Hauptproblem. Dies zeigt, wie schwer es demokratischen Akteur*innen fällt, sich gegen die vereinfachenden Narrative der AfD zu behaupten. Besonders beunruhigend ist, dass diese Narrative von anderen Parteien übernommen werden – sei es durch Forderungen nach restriktiveren Migrationsgesetzen oder durch eine rhetorische Annäherung, um Wähler zurückzugewinnen. Mittlerweile zahlt die wahltaktische Auseinandersetzung um Migration mit nahezu 99%iger Sicherheit auf das Konto der AfD ein. Selbst Leute, die die AfD nicht wählen, erkennen ihre Kompetenz in diesem Bereich an. Aber auch das ist nichts Neues und durch viele wissenschaftliche Untersuchungen in ähnlichen Fällen belegt.
Zwischen 112-Wählen und brennendem Haus
Die Debatte über ein Verbot der AfD verdeutlicht, wie unklar und unentschlossen viele Demokrat*innen immer noch agieren. Natürlich ist eine verfassungsrechtliche Prüfung notwendig, und hier soll dem Bundesverfassungsgericht nicht vorgegriffen werden. Doch die verfassungsfeindlichen Tendenzen der Partei sind längst offenkundig: Die AfD greift zentrale Grundwerte der Demokratie an, hetzt gegen Minderheiten und versucht, die Legitimität demokratischer Institutionen zu untergraben. Zudem ruft sie mehr oder weniger deutlich zu Gewalt auf, und etliche AfD-Funktionäre sind selbst mit Gewalt an der Einschüchterung politischer „Feinde“ beteiligt.
Auch die Verfassungsschutzämter bleiben hinter ihrem Auftrag zurück, auf Feinde der Verfassung klar hinzuweisen. Jüngste journalistische Recherchen zeigen, dass der Verfassungsschutz Brandenburg entgegen seiner Planung davon absieht, den AfD-Landesverband als „erwiesen rechtsextrem“ einzustufen – offenbar, um die vorgezogene Bundestagswahl nicht zu beeinflussen. Ebenso hat das Bundesamt für Verfassungsschutz darauf verzichtet, ein Gutachten vorzulegen, das die AfD bundesweit als „gesichert rechtsextremistisch“ einstufen würde. Diese Zurückhaltung erweckt den Eindruck politischer Rücksichtnahme und zeigt eine alarmierende Zögerlichkeit gegenüber einer Partei, deren radikale Ideologie erkennbar ist. Im schlimmsten Fall relativiert diese Zurückhaltung sogar die Gefahr, die vom Rechtsextremismus ausgeht.
Auf viele zivilgesellschaftlich Engagierte und Minderheitenangehörige wirkt die Debatte wie ein Feigenblatt, um sich nicht mit den rassistischen und verschwörungsideologischen Erzählungen der Partei auseinandersetzen zu müssen. Diese Nicht-Auseinandersetzung lenkt davon ab, dass die AfD bereits die politische Realität prägt. In Gemeinderäten, Kreis- und Landtagen werden Themen und Debatten immer stärker von ihren rechtsextremen Narrativen dominiert. Ein klassisches Beispiel dafür sind AfD-dominierte Gremien, die Gelder für Flüchtlingshilfen und Bildung streichen, oder Kommunen, in denen AfD-Vertreter gezielt Desinformation zu angeblichen Straftaten Geflüchteter nutzen, um lokale Politik zu beeinflussen.
Die Situation gleicht einem Haus, das in Flammen steht, während man noch über die Notwendigkeit des Feuerwehreinsatzes diskutiert. Statt entschlossen zu handeln, bleibt die Reaktion vieler demokratischer Akteur*innen auf der Metaebene stecken. Währenddessen verschiebt die AfD die politischen Grenzen immer weiter, und ihre Narrative sickern in die Diskurse anderer Parteien ein.
Lehren aus Europa:
Demokratie braucht Resilienz
Ein Blick nach Österreich verdeutlicht, wie wichtig es ist, demokratische Institutionen zu stärken, bevor autoritäre Akteure die Macht übernehmen und Brandmauer-Diskurse obsolet werden. Auch in Ungarn und Polen war zu sehen, wie Rechtsextreme durch gezielte Einschränkung der Pressefreiheit, Schwächung der Justiz und die gesetzliche Unterdrückung von Minderheiten und NGOs die demokratische Kultur systematisch vergiften können.
Die Parallelen zur Normalisierung der AfD sind unübersehbar. 2024 zeigte sich, dass besonders Bürgermeister*innen und kommunale Gremien oft schlecht vorbereitet sind, um der disruptiven Politik der AfD zu begegnen. Demokratische Resilienz braucht es nicht nur auf Landes- und Bundesebene – die Verteidigung der Demokratie beginnt in Rathäusern, Stadtverwaltungen und kommunalen Gremien.
Globale Gefahren: Trump 2.0 und die Gegenaufklärung
Die zweite Präsidentschaft von Donald Trump gibt antidemokratischen Bewegungen weltweit neuen Aufwind. Trump verkörpert ein gefährliches Zusammenspiel aus wirtschaftlicher Macht, technokratischen Ideologien und rechtsextremen Netzwerken. Seine Angriffe auf die US-Demokratie – vom Versuch, die Wahl 2020 zu delegitimieren, bis zur Unterstützung für den Sturm auf das Kapitol 2021 – sind Mahnmale für die Fragilität demokratischer Systeme. Diese Dynamiken sind heute durch die Reichweiten von Social Media und die Einflussnahme mächtiger Akteure wie Elon Musk noch gefährlicher. Musk hat mit der Übernahme von Twitter (jetzt X) nicht nur den Schutz demokratischer Diskurse auf der Plattform geschwächt, sondern rechtsextremen Stimmen und Verschwörungsideologen wie Andrew Tate oder QAnon-Anhängern wieder Raum gegeben. Diese „globalisierte Gegenaufklärung“ liefert antidemokratischen Kräften eine Bühne, auf der Ideologien wie der Techno-Libertarismus – die radikale Ablehnung staatlicher Regulierung zugunsten der Macht von Technologieunternehmen – und der Akzelerationismus, der Chaos als Mittel zur Machtübernahme propagiert, ungehindert verbreitet werden können.
Gleichzeitig zeigt sich z. B. im Angriff auf Brasiliens Regierungsgebäude durch Bolsonaro-Anhänger 2023 oder auf demokratische Strukturen in Israel durch die radikale Justizreform der Netanjahu-Regierung, wie rechtsextreme Bewegungen durch globale Narrative gestärkt werden. Die „Gegenaufklärung“ ist längst ein globales Phänomen, das gezielt demokratische Werte und Strukturen weltweit zu destabilisieren versucht.
Plattformregulierung:
Ein globales Problem
Digitale Monopole wie X oder TikTok spielen dabei eine zentrale Rolle. Diese Plattformen arbeiten mit Algorithmen, die auf Polarisierung setzen und für extreme Inhalte die größten Gewinne generieren. Studien zeigen, dass irreführende oder hasserfüllte Inhalte hier bis zu sechsmal mehr Reichweite erzielen als neutrale Beiträge. Dies hat bereits mehrfach fatale Konsequenzen gehabt, wie bei der Anstachelung rassistischer Gewalt 2015/16 in Ostdeutschland oder der algorithmischen Verstärkung von Verschwörungsmythen während der COVID-19-Pandemie.
Doch die Plattformen sind Teil eines größeren Problems: Das Zusammenspiel von technokratischen Ideologien und wirtschaftlicher Macht begünstigt die Verbreitung extremistischer Narrative. X, zu einem Knotenpunkt für extrem rechte Akteure und Verschwörungsideologen umgebaut, illustriert dies eindrucksvoll. Durch die geplante Aufhebung von Moderationsrichtlinien bei Meta und die Rückkehr gesperrter Nutzer*innen sind die Plattformen zu einem zentralen Schauplatz der „globalisierten Gegenaufklärung“ geworden, die längst in den Mainstream eingedrungen ist.
Die Regulierung digitaler Plattformen muss deshalb globale Perspektiven einnehmen. Der Digital Services Act (DSA) der EU, der Transparenz bei Algorithmen und Geschäftsmodellen fordert, ist ein erster Schritt, aber es braucht eine stärkere Zusammenarbeit auch auf UN-Ebene. Ohne klare Regeln gegen die algorithmische Verstärkung von Desinformation und die wirtschaftliche Förderung von Polarisierung droht die Demokratie ihre Diskurse und Entscheidungsprozesse zunehmend an antidemokratische Netzwerke zu verlieren, wie es in autoritären Staaten wie Russland oder China längst Realität ist.
Die Verteidigung der Demokratie im digitalen Zeitalter bedeutet, Transparenz und Verantwortlichkeit global, national und lokal durchzusetzen. Seit der Verabschiedung des DSA ist wenig passiert. Auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wurde nie richtig implementiert, und das Gesetz für digitalen Gewaltopferschutz ist im Entwurfsstadium stecken geblieben. Der Aktionsplan der Bundesländer gegen Desinformation ist nach seiner Verabschiedung in der Innenministerkonferenz nie öffentlich verkündet worden. Ob etwas umgesetzt wurde, bleibt unklar. Die Bundesregierung scheint sich v. a. vor ausländischen Desinformationsakteuren zu fürchten. Doch diese erreichen ihre Wirkung nur im Zusammenspiel mit inländischen Akteuren. Dabei droht die Gefahr nicht von einzelnen Narrativen oder Kampagnen, sondern in der Art und Weise, wie sie die Wahrnehmung der Wirklichkeit und demokratischer Prozesse dauerhaft verändern.
Demokratie erneuern statt nur verteidigen
Die Herausforderungen sind enorm, doch nicht unlösbar. Demokratie ist kein Selbstläufer, sondern ein kontinuierlicher Prozess, der Mut, Ausdauer und klare Visionen erfordert. Es geht nicht nur darum, sie zu verteidigen, sondern um Resilienz und Instrumente, die eine zeitgemäße Erneuerung der Demokratie ermöglichen – insbesondere in Ostdeutschland, wo demokratische Parteien zunehmend an Rückhalt verlieren.
Markus Söders Aussage, die nächste Legislaturperiode sei „die letzte Patrone, die wir im Kampf gegen die AfD haben“, mag drastisch klingen, doch sie verdeutlicht die Dringlichkeit. Es ist entscheidend, den Bürger*innen neue Wege zu eröffnen, sich selbst als wirksamen Teil der Demokratie zu erleben. Selbstwirksamkeit und politische Bildung müssen Hand in Hand gehen, um die Menschen stärker in demokratische Prozesse einzubinden und ihre Identifikation mit demokratischen Werten zu fördern.
Dafür braucht es Instrumente, die über die bekannten Ansätze hinausgehen, Formate, die sowohl politisches Wissen als auch die Fähigkeit zur aktiven Mitgestaltung stärken. Verwaltung muss befähigt werden, solche Prozesse zu initiieren und zu begleiten. Gleichzeitig müssen demokratische Verfahren klarer kommuniziert und der Schutz von Minderheitenrechten verstärkt werden. Es reicht nicht aus, den Menschen eine Bühne zu bieten – sie müssen auch verstehen, dass Demokratie ihre Stärke aus der Vielfalt von Meinungen und dem Respekt für die Rechte aller bezieht. Ein wesentlicher Schritt ist dabei die transparente und schnelle Verfolgung von Hass und Gewalt. Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Hasskriminalität müssen ausgebaut und Haftbefehle konsequent durchgesetzt werden, um den Eindruck von Straflosigkeit zu vermeiden. Auch die Regulierung von Sozialen Medien muss Priorität haben, um Desinformation und extremistische Mobilisierung einzudämmen.
Und es braucht eine Stärkung von Informations- und Medienkompetenz. Schulen und Bildungseinrichtungen sollten Räume schaffen, in denen sich demokratische Werte und Prozesse aktiv erleben lassen. Programme, die praktische Erfahrungen mit politischer Teilhabe verbinden, können dazu beitragen, das Vertrauen in demokratische Institutionen wiederherzustellen.
Ein weiterer zentraler Baustein ist der Schutz der Zivilgesellschaft. Organisationen, die sich für Demokratie, Vielfalt und Menschenrechte einsetzen, sind das Rückgrat unserer demokratischen Ordnung. Sie müssen nicht nur finanziell abgesichert, sondern auch gegen Angriffe aus extremistischen Netzwerken und populistische Rhetorik geschützt werden.
Was mir der AfD-Abgeordnete in Brandenburg sagte, ist mehr als ein Weckruf. Unsere Aufgabe ist es, nicht nur auf Angriffe zu reagieren, sondern proaktiv Instrumente und Strukturen zu schaffen, die eine zukunftsfähige Demokratie ermöglichen. Nur wenn die Menschen wieder Vertrauen in die Demokratie entwickeln und sich als Teil von ihr begreifen, wird es gelingen, die destruktiven Kräfte zurückzudrängen. Demokratie muss sich erneuern, um nicht nur verteidigt, sondern gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen.
Der Autor
Timo Reinfrank ist Politikwissenschaftler und geschäftsführender Vorstand der Amadeu Antonio Stiftung.