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Mit kleinen Schritten gesellschaftliche Räume und Dynamiken nutzen

Armin Nassehi: Kritik der großen Geste. Anders über gesellschaftliche Transformation nachdenken. München (Verlag C.H.Beck) 2024, 224 S., 18 €

Vor dem Hintergrund gegenwärtiger multipler Krisen (Krise des Kapitalismus, ökologische Krise, Krise der Demokratie, Digitalisierung und Künstliche Intelligenz in Ökonomie und Gesellschaft, geopolitische Entwicklungen, Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten) stellt sich Nassehi die Frage, „wie eine moderne Gesellschaft mit ihren Ressourcen und Limitationen auf diese kollektiven Herausforderungen und Krisen reagiert“ (19). Einige Akteur*innen sprechen von der Gefahr einer drohenden Apokalypse und der Gefährdung des Überlebens der Menschheit und anderer Lebewesen. Als Strategie zur Bewältigung dieser Kumulation globaler Probleme plädiert z. B. der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung ‚Globale Umweltveränderungen‘ für eine ‚Große Transformation‘ (2011).

Bezogen auf dieses Szenario beschäftigt sich Nassehi damit, „wie die Gesellschaft und ihre Instanzen auf Veränderungsdruck, Verunsicherung, Lösungsperspektiven, Transformationsversuche und Einflussnahme reagieren und wie solche Formen auf ein Gegenüber treffen, das selbst permanent aktiv ist und nicht einfach reaktiv“ (18, Herv. i. O.). Der Text ist als engagiertes Essay zu verstehen. Auf ein umfangreicheres ­Literaturverzeichnis wird verzichtet, nur gelegentlich wird auf weiterführende Literatur verwiesen.

Nassehis Überlegungen sind systemtheoretisch orientiert. Demnach sind moderne Gesellschaften als ein Ensemble funktional ausdifferenzierter und nur lose miteinander verbundener Teilsysteme zu verstehen, die ihrem Zweck jeweils nach eigenen Codes und Logiken folgen. Der Essay will keine Lösungsperspektiven für die o. g. Krisen anbieten, sondern konzentriert sich darauf, zu klären, wie „das Betriebssystem [einer modernen Gesellschaft] funktioniert“ (19). In ihrem alltäglichen Handeln bildeten die verschiedenen Teilsysteme, aber auch die Subjekte, Routinen, Praktiken, Rollen, Erwartbarkeiten, Muster usw. aus, die komplexe systemische Prozesse ordnen, einen gewissen Überblick ermöglichen und Verunsicherungen reduzieren. Grundsätzlich seien die verschiedenen sozialen Systeme stabiler als ihre Umwelt. Daraus resultiere ein Trägheitsmechanismus, was Nassehi zu der These veranlasst, dass Gesellschaften mehr von „Gewöhnung und Bewährung geprägt“ (9) sind als allgemein angenommen.

Zudem müsse man sich in Hinblick auf notwendige Veränderungsprozesse bewusst sein, dass „alles, was transformiert, gesteuert, verändert, verbessert werden soll“ (7) auf entsprechende Versuche der Veränderung mit eigenen Mitteln auf Impulse und Bestrebungen reagiert. In modernen Gesellschaften gebe es außerdem keine übergeordnete Instanz, die beanspruchen könne, gesellschaftliche Umbrüche direkt zu steuern. Auch das politische System oder der Staat sei nur eines der Teilsysteme und in…

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Der Rezensent

Klaus Waldmann ist Dipl. Pädagoge und als freiberuflicher Coach tätig. Er war viele Jahre in unterschied­lichen Funktionen in der politischen Jugendbildung aktiv.