Mit Hannah Arendt im Gepäck auf Erkundungstour des Politischen
Karl-Heinz Breier: Hannah Arendt
im Gepäck. Sieben Wege zum Politischen, Frankfurt/M.
(Wochenschau Verlag) 2024,
139 S., 18,00 €
Hannah Arendts Vorstellungen von politischem Handeln, republikanischem Denken und bürgerschaftlichem Engagement im Kern zu begreifen und gleichzeitig Brücken zu schlagen zu den Größen der politischen Theorie, zu Sokrates, Aristoteles, Machiavelli, Montesquieu, Rousseau und Tocqueville … und das gerade mal auf 139, locker gesetzten Seiten. Kann das gelingen? Ja, es geht, und das neue Buch von Karl-Heinz Breier belegt das.
Der Autor lehrt als Professor an der Universität Vechta Politische Bildung und Politische Theorie. Der schmale Band hat es in sich. Es ist zwar ein leichtes, aber mit gewichtigem Inhalt gefülltes „Gepäck“, mit dem man nach dem Willen des Autors „auf entdeckerische Reise“ gehen soll, um „sieben ortskundige Experten auf ihrem Weg zum Politischen zu begleiten“ (12). Die Auswahl der wegweisenden „Meisterdenker“ (12) ist nicht zufällig. sie ist bewusst gewählt, denn Hannah Arendt ist in ihren Denktraditionen verwurzelt. Das weiß kaum jemand besser als Breier, der bereits 1988 den Nachlass von Hannah Arendt in der Library of Congress in Washington D. C. studierte. Mit seinen zahlreichen und teilweise mehrfach aufgelegten Büchern über Hannah Arendt kann er eine exzellente Expertise vorweisen.
So geht er kapitelweise von Sokrates weiter bis hin zu Tocqueville. Bei allen sieben Vordenkern gelingt es ihm, die politische, genauer bürgerliche Quintessenz herauszuarbeiten und in Bezug zu setzen zu Hannah Arendts luzidem Denken.
Sokrates ist für Breier ein „geradezu exemplarischer Bürger“ (26), wegen dessen „unermüdlichen Befragen[s] und Ausforschen[s] seiner Mitbürger“ (24). Aristoteles hat für Arendt – so Breier – einen „Ausweg […] aus den beiden ‚Irrwegen‘“ gefunden: der despotischen Herrschaft einerseits und der anarchistischen Herrschaftslosigkeit andererseits (38). Bei Machiavelli besteht eine Verbindung zu Arendt darin, dass er die „im Christentum angelegte Weltabkehr“ (55), ein Kennzeichen mittelalterlichen Glaubens, zugunsten einer „innerweltlichen Ethik“, einer „selbstbewusst gelebte[n] Erdenbürgerschaft“ (59) abgelöst hat. Bei Montesquieu ist Hannah Arendts Bezugnahme besonders deutlich. Denn mit der von ihm „klug etablierten[n] Machtverteilung“ zeigt er, wie „eine großflächige Freiheitsordnung erhalten [werden] kann“ (70). „Er ist ein Republikdenker, der erst noch zu verstehen und zu würdigen ist. Hannah Arendt hat es getan“ (83).
Dagegen fällt der Bezug zu Rousseau ambivalent aus. Sein „Denken [bewegt] Hannah Arendt sichtlich“, aber sie stellt ihn „ganz entschieden ihrem Denkgefährten Montesquieu gegenüber […]“ (86). Rousseau ist für Arendt zwar „ein fulminanter Befreiungstheoretiker“, aber „kein politischer Freiheitsdenker in ihrem Sinne“ (87). Denn wie ist der von Rousseau postulierte „einheitliche Volkswille“ (96) mit der „Pluralität unseres Menschseins“ (96) vereinbar? Wie sollte dieser „in einen Volkskörper zu pressen sein“ (87)? Breier sieht, dass hier „das Rousseau´sche Denken total, ja womöglich totalitär [wird]“ (96). Dann ist „kein Raum mehr für das Politische“ (100), der Öffentlichkeit und dem bürgerschaftlichen Handeln zugewandten Aktivitäten.
Ganz anders verhält sich Arendt zu Tocqueville. Breier hat das ihm gewidmete Kapitel mit „Vom Glück des Freiseins“ überschrieben (103). Beide vereint, dass sie „ihre politische Wissenschaft als Bürgerwissenschaft“ (108) interpretieren. Beide sehen aber auch die Gefahr, „dass sich die Menschen in ihrer Privatheit einschließen“ und alle „nur noch auf sich fixiert sind“ (112). Hinzu kommt noch ein „Verwaltungsdespotismus“ und ein „Gängelband der Bürokratie“, das „jede Handlungsbereitschaft […] im Keim erstickt“ (118). „Mit ‚Hannah Arendt im Gepäck‘ können wir uns Tocqueville zu einem Zeitgenossen machen“ (119 f.), so Karl-Heinz Breier.
In seinem abschließenden Kapitel fasst der Autor zusammen, worauf es Arendt ankommt und was „im Gespräch“ mit den „versammelten Weggefährten“ deutlich wird. Ein Rückzug aus der Welt ist für sie unpolitisch (132). Das ist zweifelsohne eine aktuelle Herausforderung.
Karl-Heinz Breier hat mit seinem Buch gezeigt, dass es möglich ist, die komplexe politische Theorie und Staatsphilosophie flüssig, leicht lesbar und verständlich zu beschreiben. Der Drahtseilakt, Hannah Arendt mit sechs weit vorausgegangenen Schwergewichtlern konzise zu verbinden und diese aus ihrer Perspektive vorzustellen, ist ihm gelungen. Dabei wird der eine oder die andere möglicherweise kritisieren, dass manches zu verkürzt ist. Aber das ist der Preis für die Kunst der didaktischen Reduktion. Diese beherrscht Karl-Heinz Breier perfekt, das beweist seine hier vorgestellte Schrift.
Der Rezensent
Dr. rer. pol. phil. habil. Klaus-Peter Hufer ist Professor an der Fakultät Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen.
Er ist Herausgeber und Verfasser zahlreicher Bücher und Aufsätze, insbesondere zur politischen Erwachsenenbildung und zum Rechtsextremismus/Rechtspopulismus.