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Krieg und Frieden in Europa

Wie der „Politikzyklus“ Zeitperspektiven erweitern kann

Lernende und Adressat*innen von politischer Bildung müssen vor politischen ­Überwältigungs- und Instrumentalisierungsversuchen geschützt werden. Solche Versuche drohen besonders in Kriegszeiten. Eine Ausweitung der zeitlichen ­Perspektive auf die Vor- und Nachgeschichte eines aktuellen Krieges kann ein ­wichtiger didaktischer Beitrag in der politischen Bildung zur Abwendung dieser Gefahr sein.


Der Krieg in der Ukraine

Es gibt im Wesentlichen zwei Narrative zum Krieg in der Ukraine. Das ukrainische Narrativ, das mit dem des Westens weitgehend identisch ist, macht den russischen Imperialismus (Tschetschenien, Georgien, Syrien) verantwortlich für die seit vielen Jahren stattfindende russische Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine, die Annexion der Krim und schließlich den Überfall auf die Ukraine mit den weitreichenden Plänen, die Regierung zu stürzen, um sie durch eine moskaufreundliche zu ersetzen. Der Krieg beginnt diesem Narrativ zufolge mit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24.02.2022. Das russische Narrativ macht in erster Linie den US-Imperialismus (zuletzt Serbien, Irak, Libyen) verantwortlich, der sich für Russland vor allem in der Osterweiterung der NATO (nach Auflösung des Warschauer Pakts und entgegen westlicher Zusagen) sowie der politischen Unterstützung und militärischen Aufrüstung der Ukraine als Bollwerk gegen Russland, einschließlich des Versprechens an die Ukraine (und an Georgien) zum Beitritt in die NATO, zeige. Kriegsbeginn ist diesem Narrativ zufolge die militärische Bekämpfung des Separatismus in der Ostukraine ab Ende Februar 2014 durch die ukrainische Regierung.

Unabhängig davon, wie man diese beiden Narrative bewertet, kann bei einiger Distanz zu den Akteur*innenperspektiven festgehalten werden, dass der Krieg im Grunde auf drei Bühnen stattfindet. Die erste Bühne ist die Ukraine selbst, ein schon im 19. Jahrhundert stark gespaltenes Land, in dem vor allem Russland und Österreich-Ungarn um Einfluss bemüht waren, in dessen Landesteilen sich nach 1990 entsprechend der jeweils herrschenden ethnischen Struktur immer wieder extrem unterschiedliche Wahlergebnisse zeigten und dessen Politik in hohem Maß von Oligarchen und Korruption beherrscht war und ist. Die zweite Bühne ist die europäische. Zur Erinnerung: Im 2+4-Vertrag und in der Charta von Paris 1990 wurde festgehalten, dass nach dem Ende des Ost-West-Gegensatzes beide Seiten sich als Partner beim Aufbau eines neuen Europas verstehen wollten. Putin sprach im Deutschen Bundestag 2001 vom Bau eines „gemeinsamen Hauses“ (Wortprotokoll des Bundestags). Die Ukraine jedoch schwankte zwischen der partnerschaftlichen Anbindung an Russland und an die Europäische Union. So kam es zu einem verhängnisvollen Aufschaukeln der europäischen…

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Der Autor

Apl. Prof. Fritz Reheis war 20 Jahre Gymnasiallehrer für Sozialkunde, Deutsch, Geschichte und Philosophie und 10 Jahre Hochschullehrer für die Didaktik der politischen Bildung am Lehrstuhl Politische Theorie der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Seit seiner Pensionierung ist er Lehrbeauftragter am Lehrstuhl Allgemeine Pädagogik der Uni Bamberg.