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Erkenntnisgewinne für die ­Betrachtung einer neurechten Partei

Florian Spissinger: Die Gefühls­gemeinschaft der AfD. Narrative, Praktiken und Räume zum Wohlfühlen. Opladen, Berlin, Toronto (Verlag Barbara Budrich) 2024, 301 S., 68 € (PDF open Access)

Es gibt Themen, zu denen es eine große Publikationsvielfalt gibt und die unweigerlich mit der Frage verbunden sind, was die jeweils neuen und interessanten Erkenntnisse und Reflexionen sind. Das gilt gerade auch für den rechten Populismus und Extremismus und die von ihnen ausgehende Gefährdung der Demokratie. Hier hat Florian Spissinger mit seiner Dissertation einen exzellenten Beitrag geleistet, in dem er auf hohem Niveau eine Facette – die Dimension und Bedeutung der AfD als neurechte „Gefühlsgemeinschaft“ – in den Blick nimmt.

Nach einer längeren Einleitung wird in drei Teilen die neurechte Gefühlswelt empirisch und systematisch untersucht. Dies sind die beiden zentralen Mobilisierungsfelder der AfD „Zuwanderung“ und „Klimaschutz“, dann die „antitotalitäre Aufklärungsgemeinschaft“ und eine „Gefühlspolitik jenseits von ‚negativen‘ Emotionen rhetorischer Verführung“. Dabei wird der Frage nachgegangen, was die neurechten Akteure und die AfD in ihren konkreten lokalen Zusammenhängen und insgesamt als neurechte „Gefühlsgemeinschaft“ anziehend und attraktiv macht, bei Mitgliedern und Sympathisanten zu einem „rechten Wohlfühlen“ (8) beiträgt. Spissinger betrachtet bei aller Heterogenität der neurechten Netzwerke „die AfD als Teil eines neurechten Gefühlsnetzwerks“ (19), die als geteilte Gefühlswelt nicht nur eine ideologische, „sondern auch eine affektive Heimat bietet“ (23). Dies untersucht er empirisch durch Teilnahme an und Beobachtungen bei AfD-Zusammenkünften sowie ethnografischen Gesprächen in Ost und West. Er leuchtet diese mit einem ethnografischen Forschungsstil und Anleihen aus der Emotions- und Affektforschung aus.

Im ersten Teil werden mit Zuwanderung und Klimaschutz zwei zentrale neurechte Narrative ausführlich diskutiert, die von einer Gefühlswelt des nationalen Niedergangs, kulturellen Verfalls und dramatischer Bedrohungen bestimmt sind. Bei der AfD ist die Rede vom „großen Austausch“ von „Blackout“ und Niedergang, von Zukunftsvernichtung, Deindustrialisierung und Heimatverlust, der Genderideologie und der „Verteidigung des normalen Lebens“ (114). Dabei versteht sich die AfD als Projekt der Hoffnung, als eine demokratische Widerstands- und Rettungsgemeinschaft gegen die „Altparteien“ und eine „Regierung des Volksverrats“ (98), gegen Unterdrückung, den Klimawahn und die „grüne Freiheitsberaubung“ (119).

Im zweiten Teil werden die Selbstnarrative der AfD vom demokratischen, aufgeklärten und antitotalitären Widerstand sowie parlamentarischen Arm der Corona-Proteste untersucht. Mit diesem Selbstauftrag einer ermutigenden Kraft immunisiert sich die Szene gegen den „Rechtsextremismusverdacht“ (138), verbunden mit einer totalitären Gegenwartsbeschreibung als „Meinungs­diktatur“ und der Gefühlsposition, die…

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Der Rezensent

Benno Hafeneger lehrte und forscht an der Philipps-Universität Marburg zu Jugend und außerschulischer Jugendbildung und ist Mitglied der JOURNAL-Redaktion.