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Deutschlands rassistische Denkmuster

Gilda Sahebi: Wie wir uns Rassismus beibringen. Eine Analyse deutscher Debatten. Frankfurt/M. (Fischer Verlag) 2024, 460 S., 26 €

Gilda Sahebis Buch hält genau, was es verspricht: es verdeutlicht eindrücklich, wie Rassismus in Deutschland in seinen verschiedenen Erscheinungsformen erlernt wird. Der Aspekt des Erlernens mag die Lesenden überraschen und der vermeintlich mitschwingende Vorwurf mag von ihnen auch zunächst empört zurückgewiesen werden, da „[d]ie Angst vor dem R-Wort“ (178, 144) verhindert, dass Rassismus in seinen strukturellen, individuellen, systemischen und kollektiven Ausprägungen (178) betrachtet und damit als in diesen auch erlernt wahrgenommen wird. Rassismus wird gern als Ausdruck des Extremistischen verortet, dabei handelt es sich um ein kollektives Phänomen (142) und ist nichts Außergewöhnliches (132). Diese Erkenntnis ist schwer zu verdauen, doch Gilda Sahebi gelingt es gerade deswegen, die Lesenden entlang historischer Entwicklungen, Wandlungen und aktueller Debatten in diesen Lernprozess, der alle Menschen betrifft, mitzunehmen. ‚Wir sind alle rassistisch sozialisiert‘ bleibt dadurch keine Floskel, sondern wird gefüllt mit dem Benennen und Erkennen spezifischer, erlernter Denkmuster.

Lesenden durch die Spezifika des Rassismus in Deutschland, beginnend mit Dynamiken im 19. Jahrhundert (1871, Jahr der Reichsgründung). Dabei wird z. B. ein Muster deutlich, dass bis heute Bestand hat und Teil aktueller Debatten rechter und auch konservativer Parteien ist: eine ab 1893 durch Ernst Hasse (bekannt für seine kolonial- und bevölkerungspolitischen Aktivitäten als Mitglied der Nationalliberalen Partei, die von Hannah Arendt in „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ analysiert wurden) vorgenommene synonyme Verwendung der Begriffe „Volk“ und „Nation“ führte zu einem nationalistischen Verständnis des Volksbegriffs und zu einer Überhöhung diesem gegenüber dem Staat. Sahebi dazu: „Unter anderem deswegen ist der Begriff ‚Volk‘ bei Menschen, die diesen exklusiven Gebrauch des Wortes vertreten, auch ein Code für die Delegitimierung des Staates, der in der Rangfolge unter dem Willen des ‚Volkes‘ existiert. Das heißt, dass staatliche Strukturen dann umgangen, ignoriert oder im Extremfall ausgeschaltet werden können, wenn diese den Interessen oder dem Willen des Volkes entgegenstehen“ (18). Spätestens seit der letzten Januarwoche 2025, in der der Kanzlerkandidat einer zumindest ihrem Namen nach christlich-demokratischen Partei lächelnd mit Faschisten paktierte, ist dieser Mechanismus nur zu gut bekannt.

Es folgt eine Auseinandersetzung mit rassistischen Glaubenssätzen und dem Umgang damit (Kapitel 2–4). Dabei wird deutlich, dass Rassismus eben weder individuell noch extremistisch ist (142), sondern durch das Phänomen des Mainstreamings normalisiert wird (194). Die seit Jahren vorangetriebene Normalisierung menschenfeindlicher und rassistischer Positionen ist auch aus Sicht von Sahebi der…

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Die Rezensentin

Stephanie Borgmann, Dipl.Päd., ist akademische Mitarbeiterin an der Pädagogischen Hochschule ­Ludwigsburg in der Abteilung ­Erwachsenenbildung/Berufliche ­Bildung. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Diversitätssensible Bildung, Entfremdung und Selbstoptimierung.