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Produktinformationen

Unsere „Gesellschaft der Singularitäten“ (Andreas Reckwitz) entsteht am Kreuzungspunkt kultureller, ökonomischer und technologischer Wandlungsprozesse und ist durchzogen von Prozessen der Vereinzelung. Spätestens seit den 1990er Jahren befinden wir uns demnach in einer Spätmoderne, in der Besonderheit und Einzigartigkeit herausragende Rollen erhalten. In den 1970er Jahren findet in den westlichen Ländern – auch beeinflusst durch die Kulturrevolution der Zeit um 1968 (vgl. Journal 4/18) – ein Wandel der leitenden Lebenswerte statt: Anpassung an das Allgemeine verliert an Rückhalt, Entfaltung und Verwirklichung des Selbst gewinnen an Überzeugungskraft – das Streben nach einzigartigen, subjektiv befriedigenden Identitäten im Berufsleben, in der Partnerschaft, in der Freizeit und im Konsum – eine wahre Selbstverwirklichungsrevolution.

Kultureller geht mit ökonomischem Wandel zusammen: Ein Großteil von Wertschöpfung und Erwerbstätigkeit findet sich nun im Dienstleistungssektor. Dies hat Auswirkungen auf Seiten des Konsums wie der Erwerbsarbeit; es findet eine neue Konsumentenrevolution statt, die weniger auf Massenkonsum von Standardgütern setzt als auf symbolische Güter, Erlebnisse, Dienste und mediale Formate in großer Differenziertheit. DIe Entindustrialisierung fördert die Expansion der Wissensökonomie für Hochqualifizierte, eine hochgradig subjektivierte Arbeit im permanenten Wettbewerb um Höchstleistungen: Eine liberalisierte Ökonomie, die nicht nach dem Durchschnitt strebt, sondern nach Exzellenz; die nicht nur Einkommen, sondern auch persönliche Befriedigung verspricht.

Die dritte Größe, der laut Reckwitz den Wandel von der Gesellschaft der Gleichen zur Gesellschaft der Singularitäten vorantreibt, ist die digitale Revolution. Die Technik der Industriegesellschaft wirkte standardisierend, die digitale Technologie der Spätmoderne wirkt in mehreren Hinsichten singularisierend. Im Internet findet ein Wettbewerb um Aufmerksamkeit statt, in dem nur Differenz heraussticht, die digitale Welt ist auf das Individuum zugeschnitten. An die Stelle der allgemeinen medialen Öffentlichkeit treten partikulare Communities, die sich jeweils selbst bestätigen. Das verstärkt die Herausforderung des liberalen politischen Systems, auch durch Populismus. Seine Attraktivität gewinnt dieser aus der neuen Spaltungslinie, die zwischen kosmopolitisch orientierten „Liberalisierungsgewinnern“ und traditionalistisch eingestellten „Liberalisierungsverlierern“ verläuft. Insbesondere diejenigen, die sich als Verlierer der oben beschriebenen Veränderungen sehen und einen ökonomischen und/oder einen kulturellen Verlust fürchten, werden von ihm angesprochen.

Gesellschaftsdiagnosen haben Konjunktur und bestimmen den gesellschaftlichen und politischen Diskurs teilweise maßgeblich mit. Diese Ausgabe des Journal benennt gängige Standortbestimmungen, bringt sie mit Phänomenen wie Digitalisierung, Ökonomie und Populismus in Verbindung und versucht, diese für die politische Bildung urbar zu machen.

Inhaltsübersicht

Inhalt


MitDenken

4    Ernst Dieter Rossmann
Die Volkshochschulen, 1919 und 1945
und die Stärkung der Demokratie

 

SchwerPunkt
Gesellschaftsdiagnosen

12    Andreas Reckwitz
Die Gesellschaft der Singularitäten

18    Martin Altmeyer
Das exzentrische Selbst
Eine Zeitdiagnose der digitalen Moderne

24    Dirk Jörke, Veith Selk
Postdemokratischer Liberalismus
vs. Rechtspopulismus

28    Klaus Dörre
Auf der Suche nach dem
wahren
Kern der deep story
Rechtspopulismus bei Lohnabhängigen als
Herausforderung für die politische Bildung

36    Roland Roth
Der Kampf um das neue Gesicht
der Demokratie
Bildung für eine demokratische Gesellschaft
in turbulenten Zeiten

42    Joanna Mechnich, Daniela Kallinich
Digitalisierung und Demokratie
Eine Momentaufnahme

 

ZeitZeugen

48    Ursula Münch
Akademie zwischen Fachwissenschaft
und politischer Bildung

 

BildungsPraxis

52    Alexander Wohnig
Gesellschaftsdiagnosen in der Praxis

Konzeptwerk Neue Ökonomie:
Herrschaftskritische Gesellschaftsdiagnosen

 

MitDenken

4 100 Jahre Volkshochschulen
„Volkshochschulen sind Kinder der Demokratie, und Kinder
verteidigen ihre Eltern“, konstatiert Ernst Dieter Rossmann,
Vorsitzender des Deutschen Volkshochschul-Verbandes.

 

SchwerPunkt

12 Die Welt als Performance
Digitale Medien vermitteln dem Subjekt, dass es bestän-
dig auf seine individuelle Performance ankommt. Führt
diese Singularisierung des Einzelnen zu gesellschaftlicher
Polarisierung?

 

SchwerPunkt
18 Auf der Suche nach Resonanz
Noch mit jedem historisch neu auftauchenden Medium
kam angeblich das Böse in die Welt, stets drohte der
kulturelle Weltuntergang. Martin Altmeyer plädiert für
„Abrüstung im zeitdiagnostischen Katastrophendiskurs“.

 

SchwerPunkt
36 Proteste, Bürgerinitiativen, soziale Bewegungen!
Wie kann heute Bildung für eine demokratische Gesell-
schaft aussehen? Roland Roth entwirft in seinem Beitrag
alternative Szenarien zu den Zerfallserscheinungen des
repräsentativen Demokratiemodells

 

BildungsPraxis
52 „Krise“ – Diagnose – Handeln
Seit jeher sind pädagogische und didaktische Konzepte,
bildungspraktische Methoden und Seminargestaltungen
auf gesellschaftliche Entwicklungen bezogen worden.
Die Rubrik zeigt aktuelle Beispiele für die politisch-bild-
nerische Praxis auf.

 

ÜberGrenzen
72 Wahl-O-Mat goes Europe
Zur Europawahl am 26. Mai vernetzt sich der Wahl-O-Mat
mit Wahltools in ganz Europa zu VoteMatchEurope. Im
Interview mit dem JOURNAL berichtet Pamela Brandt, wo
die Herausforderungen liegen.

 

 

1/2019



 

 

 

 

Bildungsstätte Anne Frank:
Antisemitismus und Rassismus als
gesamtgesellschaftliche Phänomene

Bildungsstätte Alte Schule Anspach:
Internet zwischen Freiraum und Panoptikum

 

 

VorGänge
60 Das Grundgesetz als Magazin / Johannes-
Albers-Bildungsforum / 70 Jahre Grundgesetz
– Informationen und Materialien / 20.
JIM-Studie – Medienforschung für die Praxis /
ZGV: Digitalisierung und Nachhaltigkeit

 

 

LeseZeichen
64 Gibt es demokratiefördernde Gefühle? /
Geschlecht und Sexualität jenseits normativer
Vorgaben / Jugend im Bann von PEGIDA?

 

 

ÜberGrenzen
72 Pamela Brandt
Gemeinsam für Europa
Der Wahl-O-Mat als internationales
Kooperationsprojekt zur Europawahl

 

 

AusBlick
76 Haus Neuland: Jugend, Medien, Partizipation
/ IDA: Neue Angebote und Messenger-Dienst
/ et: „Diversity rules!“ / Personen & Organisationen
/ Veranstaltungen

Autor*innen

Martin Altmeyer
Dr. rer. med. habil., Dipl. Psych., ist Privatdozent für psychoanalytische Psychologie. Er war lange als klinischer Psychologe in der Reformpsychiatrie und als Leiter der Personal- und Organisationsentwicklung bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) tätig.

Pamela Brandt
ist Redakteurin in der Online-Redaktion der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) und Projektverantwortliche für den Wahl-O-Mat. Neben multimedialen und inhaltlichen Angeboten für die Webseite www.bpb.de ist sie seit 2004 Projektleiterin des Wahl-O-Mat. Sie studierte Geschichte, Französisch, Pädagogik und Journalismus in Hamburg, Paris und Bordeaux und arbeitete anschließend für verschiedene Fernsehsender und Zeitungen.

Klaus Dörre
ist seit 2005 Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, einer der Direktoren des DFG-Kollegs Postwachstumsgesellschaften und Mitherausgeber des Berliner Journal für Soziologie und des Global Dialogue. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Kapitalismusmustheorie, Prekarisierung von Arbeit und Beschäftigung, Arbeitsbeziehungen, soziale Folgen der Digitalisierung sowie Rechtspopulismus.

Prof. Dr. Dirk Jörke
ist seit 2014 Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Darmstadt, von 2010 bis 2014 war er Heisenbergstipendiat der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Seine Forschungsgebiete sind Demokratietheorie und Populismus, insbesondere US-amerikanischer Populismus.

Dr. Daniela Kallinich
studierte Diplom-Sozialwissenschaften in Göttingen und Caen und ist Mitarbeiterin der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Nach dem Studium hat sie am Göttinger Institut für Demokratieforschung zu Parteien, Politik und Gesellschaft in Frankreich und Deutschland geforscht und sich theoretisch und praktisch mit dem Thema Demokratiebildung mit Kindern beschäftigt.

Joanna Mechnich
(M.A.) studierte Friedensforschung und Internationale Politik an der Eberhard Karls Universität Tübingen und ist Mitarbeiterin der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Zuvor war sie u.a. freiberuflich für das Netzwerk für Demokratie und Courage und die Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg tätig.

Ursula Münch
Prof. Dr. Ursula Münch ist Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing am Starnberger See sowie Professorin für Innenpolitik und Vergleichende Regierungslehre an der Universität der Bundeswehr München.

Andreas Reckwitz
studierte Soziologie, Politikwissenschaft und Philosophie. Er ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder und Träger des Leibniz-Preises.

Dr. Ernst-Dieter Rossmann
MdB, ist Dipl. Psychologe und seit 2007 Vorsitzender des Deutschen Volkshochschulverbandes.

Roland Roth
arbeitete zuletzt als Professor für Politikwissenschaft am Fachbereich Sozial- und Gesundheitswesen der Hochschule Magdeburg-Stendal (1993-2014). Sein wissenschaftliches und politisches Interesse gilt den Themenfeldern Demokratie, soziale Bewegungen, Zivilgesellschaft, Bürger- und Menschenrechte.

Dr. Veith Selk
ist seit 2014 Post-Doc am Institut für Politikwissenschaft der Technischen Universität Darmstadt. Im Wintersemester 2017/18 vertrat er die Professur für Politische Theorie und Ideengeschichte im Fach Politik der Universität Trier. Seine Forschungsgebiete umfassen Politische Theorie, Demokratietheorie, Populismus, Pragmatismus und Ideengeschichte.

Dr. Alexander Wohnig
ist akademischer Mitarbeiter an der Heidelberg School of Education (Universität und Pädagogische Hochschule Heidelberg). Seit Frühjahr 2017 ist er zudem Teil der erweiterten Journal-Redaktion.